Prozessberichte Zusammenfassung

Im Folgenden wollen wir eine kurze Zusammenfassung über die bereits stattgefundenen Prozesse rund um die Besetzung der Skalitzer Straße 106 im Oktober 2018 geben, um die wichtigsten Infos gebündelt zu haben. Insgesamt gab es 5 Prozesse, von denen wir wissen. Bei allen wurde neben anderen Anklagepunkten (gemeinschaftlicher) Widerstand und bei manchen tätlicher Angriff verhandelt. Wir wissen von mindestens 2 Personen, die festgenommen wurden, zu denen wir aber trotz Bemühen unsererseits bis jetzt keinen Kontakt aufnehmen konnten, sowie 2 anderen Personen, bei denen die Ermittlungen trotz z.T. sehr schwerer Vorwürfe (versuchter Mord u.a.) ohne Prozess/außergerichtlich eingestellt wurden.
Der erste Prozess fand am 20.08.2019 statt, im Vorfeld gab es eine Online-Mobilisierung und eine Kundgebung vor dem Gebäude in der Skalitzer Straße sowie vor dem Gerichtsgebäude. Wohl auch deswegen fand der Prozess im Sicherheitssaal statt. Angeklagt waren gemeinschaftlicher Widerstand, oberste Prämisse der Richterin schien zu sein, den Prozess schnellstmöglich hinter sich zu bringen, da sie gerne nach Hause wollte. Der Angeklagte verweigerte die Aussage und gab keine Prozesserklärung ab, er ist nicht vorbestraft gewesen. Das Urteil beläuft sich auf 90 Tagessätze, wogegen der Angeklagte in Berufung ging.
Der zweite Prozess fand am 09.09. statt. In der Anklageschrift ging es um gemeinschaftlichen Widerstand und Landfriedensbruch. Richterin und Staatsanwalt: Mathiak und Schulz-Spirohn. Der nicht vorbestrafte Angeklagte verweigerte ebenfalls die Aussage und gab keine Prozesserklärung ab. Die Staatsanwaltschaft forderte 8 Monate, die Richterin urteilt zu 50 Tagessätze a 15 Euro, Urteilsgegenstand war nunmehr “einfacher”, d.h. nicht gemeinschaftlicher Widerstand. Die Staatsanwaltschaft so der Angeklagte sind in Berufung gegangen. Die Richterin des Berufungsverfahrens wirkte erfolgreich auf die Staatsanwaltschaft ein, die Berufung zurückzuziehen. Daraufhin zog der Angeklagte die Berufung ebenfalls zurück. Die Verurteilung zu 50 Tagessätzen ist somit rechtskräftig.  
Einen ausführlichen Prozessbericht gibt es unter http://www.magazinredaktion.tk/gerichtsreport.php
Eine Woche später, am 16.09., fand der dritte Prozess in diesem Rahmen statt. Richter: Rische, Staatsanwälin: Barth, 3 Bullenzeugen. Wie zuvor verweigerte die nicht vorbestrafte Angeklagte die Aussage und gab keine Prozesserklärung ab. Letztendlich forderte die Staatsanwältin, basierend auf der Aussage des ersten Bullen, eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten wegen gemeinschaftlichem Widerstands und tätlichem Angriffs. Der Richter erhöhte in seinem Urteil nochmal um 2 Monate auf 9 Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zu 2 Jahren Bewährung, und 800 Euro Zahlung an eine Stiftung für Kinder mit Behinderung. In seinem Plädoyer erwähnte er mehrfach den Rechtsstaat und die Demokratie und ist überzeugt, die Angeklagte nun “auf den rechten Weg gebracht” zu haben. Außerdem wie’s er auf einen Prozess im gleichen Kontext hin, der ein paar Monate zurück lag, welcher aber vor Gericht eingestellt wurde. Auch betonte er während der Befragung der Bullen mehrfach, dass es völlig legitim sei, wenn diese in der Situation Gewalt angewandt hätten (auf den Videos sind mehrfach Schläge der Bullen in Gesichter der Demonstrant_innen erkennbar).
Während der Verlesung des Urteils verzogen wohl Menschen im Publikum das Gesicht, was dem Richter gar nicht passte und er auch ansprach – entsprechende Personen verließen daraufhin den Saal, was den Richter dazu veranlasste, den Sicherheitsleuten anzuweisen, diese zwecks Bußgeld festzustellen. Das ist den Sicherheitsleuten glücklicherweise nicht mehr gelungen.
Der vierte Prozess fand statt am 18.10.2019, Richter Pollmann und Staatsanwalt R. Krüger, 2 Bullenzeugen. Die nicht vorbestrafte Angeklagte veweigerte die Aussage, die verhandelte Sache: gemeinschaftlicher Widerstandund täglicher Angriff. Die Anklage wird auf drängen des Staatsanwaltes um Körperverletzung erweitert. Da sich lange kein Gerät auftreiben ließ, um die Beweisvideos, auf denen die Angeklagte lediglich kurz zu sehen ist,  wurde ein 2. Prozesstermin für den 01.11.2019 angesetzt. Auffällig war der Staatsanwalt, dem sehr daran gelegen war, dass die Mindeststrafe für gemeinschaftlichen Widerstand (6 Monate) auch abgeurteilt wird und in seinen  Ansprachen vermehrt auf den vorangegangenen Prozess verwies. Außerdem fuhr er immer wieder der Anwältin über das Wort. Mehr noch, er sagte zur Angeklagten, sie sei nicht kompetent vertreten und solle aussagen, ‘um Schlimmeres zu verhindern’. Er tätigte immer wieder (entkontextualisierte) Aussagen wie “Na sehen Sie mal, der Zeuge Schäfer hat ja auch einen Migrationshintergrund, da sollen die Leute nochmal sagen, alle Polizisten seien bei der AFD”. Der Richter urteilte schließlich auf 7 Monate, ausgesetzt auf 2 Jahre auf Bewährung. Allerdings schien er aufgrund der Geringfügigkeit der Handlung selbst mit dem Urteil nicht ganz zufrieden, verwies aber letztendlich auf das “geltende Recht” und die Veränderung des Paragrafen letztes Jahr.
Der 5. Prozess fand am 27.11. statt, Richterin Moritz und Staatsanwältin Eppert. Der Angeklagte verweigerte die Aussage, gab aber eine Prozesserklärung ab, in welcher er abstritt, einen Bullen getreten zu haben und die  Tatvorwürfe insofern abstritt, als dass er angab, alleine und nur zufällig vor Ort gewesen zu sein. Ein Bulle sagte aus, der hauptbelastende Bulle war im Urlaub. Die Richterin stellte das Verfahren nach circa 45 Minuten(ohne großartige Erklärung) gegen 150 Euro Strafzahlung an die Kindernothilfe ein.
Gemein ist allen Prozessen, dass die Urteile zwecks (gemeinschaftlichen) Widerstands lediglich auf Sichtung des Videomaterials dieses Tages und auf die Zeuenaussagen der Bullen basieren. Diese zeigen die jeweiligen Angeklagten zwar durchaus erkennbar in der Situation (also: in mehreren Reihen vor den Bullen stehend, zum Teil eingekettet, Rangelei), jedoch sind keinerlei Tritte/Faustschläge o.ä. seitens der Demonstrant_innen zu erkennen. 
Alleine die nachgewiesene Präsenz und die Aussagen der Bullen in einer solchen Situation reicht also aus, um zu mindestens 6 Monaten Freiheitsentzug verurteilt zu werden – eben dies sieht der abgeänderte Widerstandsparagraf auch genau so vor. Warum sich die Urteile so voneinander unterscheiden, können wir vorerst nur vermuten: a) ist die Änderung des Widerstandsparagrafen relativ neu und wird zum Teil noch nicht ihrer Art entsprechend angewandt; b) wird in unseren Augen gerade experimentiert, wie solche Fälle jetzt und in Zukunft abgeurteilt werden (können). 
Wir möchten in diesem Zuge noch ein paar Worte zu der Prozesserklärung des Angeklagten im 5. Prozess sagen.   
Eine solche Erklärung halten wir für grundsätzlich falsch und auch gefährlich. Inwiefern sie sich auf das Urteil ausgewirkt hat, bleibt Spekulation; die Richterin ist in der Urteilsverkündung nicht weiter darauf eingegangen. Allgemein schienen Richterin und Staatsanwältin dem Verfahren relativ entspannt gegenüberzustehen, anders beispielsweise als der Staatsanwalt im 2. und 4. oder der Richter im 3. Prozess. Wichtig ist für uns vor allem, welche negativen Konsequenzen solche Erklärungen für uns haben:
“Getroffen ist eine_r, gemeint sind wir alle” sollte unserer Meinung nach der Leitsatz unserer Prozessführungen sein. Denn: Wenn wir alle uns als Teil einer politischen Bewegung begreifen, die den (bürgerlichen, kapitalistischen) Staat ablehnt, dann sind alle Prozesse gegen uns nur Ausdruck unseres Antagonismus diesem Staat gegenüber, dessen Institutionen dazu da sind, uns zu bekämpfen. Kurz: es gibt für uns keine “Gerechtigkeit”, und wenn du Teil einer Aktion bist und politisch dahinter stehst, musst du damit rechnen, dass du dafür bestraft wirst.
Wenn du selbst nicht verurteilst wirst wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit jemand anderes, und jede Aussage kann Strukturen offenlegen oder andere Leute belasten. Es gibt etliche Verfahren die nur deshalb eingestellt wurden, weil Leute eben nicht gequatscht, oder andersherum solche, in denen Leute ausgepackt und trotzdem die volle Strafe bekommen haben. Es geht also nicht “nur” um einen solidarischen Akt für andere, die Aussage zu verweigern und sich nicht zu distanzieren, sondern auch um ganz eigennützigen Selbstschutz. Auch wenn in diesem Fall ausschließlich Vowürfe abgestritten wurden, bedeutet nichts sagen dich und deine Strukturen zu schützen. Wir brauchen gemeinsame Grundsätze wie die Klappe zu halten, um uns nicht gegeneinander ausspielen zu lassen und um uns gegenseitig Vertrauen zu können. Vorwürfe abstreiten weicht diesen Grundsatz auf.
Die Entscheidung mag jedes Mal wieder schwer sein. Die Situation ist jedesmal unterschiedlich und diverseste Folgen müssen abgewogen werden. Diese Entscheidung sollte keinesfalls individuell getroffen werden. Gründe für und Formen von Einstellungen und Einlassungen sollten dringend rückgesprochen werden.
Wir raten dringend allen, insbesondere allen Repressionsbetroffenen dazu, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Nicht erst, wenn ihr von Repression betroffen seid. Belest euch zu dem Thema, nehmt an Veranstaltungen dazu teil, sprecht mit euren Genoss_innen, eurem Umfeld offen über eure Ängste und Zweifel. Diese zu haben ist völlig normal und oftmals berechtigt. Daher ist es umso wichtiger sich auszutauschen und Rat bei Leuten, die sich auskennen, zu suchen. Ein kollektiver Umgang ist unsere Stärke gegen die Vereinzelung, die sich die Repressionsorgane unter anderem zum Ziel setzen. Vernetzt euch mit anderen Angeklagten und lasst euch nicht vereinzeln. Sucht euch Menschen, die euch supporten, dazu reicht nicht nur ein_e Anwält_in. Und umgekehrt: kümmert euch um die Leute, bei denen Verfahren anstehen, und geht aktiv auf sie zu. 
        
Hier schonmal ein paar hilfreiche Links:
        
http://www.gefangenen.info/debatte-to-deal-or-not-to-deal/         (Rede von Klaus Viehmann, der selber jahrelang im Knast saß, zu         Deals und Einlassungen, 2018)
        
https://freethemall.noblogs.org/         (Hier findet sich eine Broschüre zum Thema offensive         Prozessstrategien, die als PDF runtergeladen werden kann, sowie         weitere Links zum Thema)
        
https://antirepression.noblogs.org/post/2019/05/28/debattenbeitrag-zu-einlassungen-und-distanzierungen/         (Beitrag der Roten Hilfe Leipzig zum Thema Einlassungen und         Distanzierungen)
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