Prozesserklärung – Berufungsprozesse

Berlin ist eine Stadt voller Gegensätze. Während überall in der Stadt, insbesondere in den sogenannten Szenebezirken, teure Luxusbauten und touristische Infrastruktur entstehen, leben Zehntausende ohne festen Wohnsitz. Jährlich werden etwa 3000 Zwangsräumungen allein in Berlin angeordnet. Jeden Tag werden also Menschen aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt. 
 
Wie kann es unsere Normalität sein, dass ganze Häuser jahrzehntelang leer stehen und verrotten, während Menschen sich nach ihrer erneuten Mieterhöhung ihre Wohnungen kaum mehr leisten können? Wie können die, die noch irgendein Gewissen haben, wortlos akzeptieren, dass Menschen auf der Straße erfrieren oder ermordet werden, während neben der Parkbank, auf der sie schlafen, gerade Loftwohnungen für Superreiche entstehen? 
 
Wie kann es sein, dass trotzdem, Eigentum über das Wohl der Menschen gestellt wird?  Und das mit der neoliberalen Erfolgsgeschichte begründet wird, ganz nach dem Motto – wenn du nur willst, kannst auch du ‚es schaffen‘?       
 
Jeden Tag werden Menschen in diesem ach so fortschrittlichen Land verprügelt, gedemütigt, unter Zwang gesetzt, weil sie sich – ob aus politischer Überzeugung oder simpler Verzweiflung – dieser kapitalistischen Verwertungslogik widersetzen. 
 
So auch die Menschen, die den Hashtag besetzen nutzen, um ungenutzten Wohn- oder Gewerberaum öffentlich zugänglich zu machen. Auch diesen wird mit Gewalt begegnet. Sie werden unmittelbar aus den Räumen gezerrt und dabei in vielen Fällen, ob psychisch oder physisch, misshandelt. Selbiges passiert mit den Menschen, die sich vor die Türen der Häuser stellen oder ihre Solidarität mit der Teilnahme an Kundgebungen und Demonstrationen zum Ausdruck bringen. Nachdem diese Leute dann geprügelt, gedemütigt, festgenommen und gefilmt wurden, hilft die 2017 beschlossene Neuregelung der Paragraphen 113 und 114 StGB, eben diese Leute völlig willkürlich zu bestrafen. 
 
Mit allen Mitteln wird das Eigentum der Reichen geschützt. Und der Staat agiert als Handlanger des Kapitals. 
 
Gewalt ist, wenn Polizist_innen Menschen durchsuchen, beleidigen und festnehmen. Gewalt ist, wenn Menschen in ständiger Angst leben müssen, am nächsten Tag oder in der nächsten Woche ihr Zuhause zu verlieren. Gewalt ist, wenn Menschen abgeschoben werden in angeblich sichere Herkunftsländer, wo sie Folter, Krieg und Tod erwartet. Gewalt ist, wenn rechtsterroristische Netzwerke wie der NSU von einer staatlich finanzierten Neonazi-Kameradschaft, die sich selbst „Verfassungsschutz“ nennt, und anderen staatlichen Behörden geschützt werden. Gewalt ist, wenn Menschen in Gefängnisse gesteckt werden, weil ihnen kein Ausweg bleibt und sie in dieser kapitalistischen Gesellschaft das werden müssen, das der Staat als kriminell betitelt, und ihnen die Freiheit entzieht. Gewalt ist, wenn Menschen ausgegrenzt und gedemütigt werden, wenn Haben oder Nichthaben über Recht und Unrecht entscheidet. Gewalt ist, wenn mit Kriegsmaschinerie Profit erzeugt wird, durch die Menschen in anderen Teilen der Welt zu unzähligen ermordet und verstümmelt werden. Gewalt ist, wenn Wenige alles haben und viele Nichts. 
        
Und während all diese Verbrechen ungesühnt bleiben, werden jene die dagegen aufstehen mit Repression überzogen. Die Frage ist: kann angesichts dieser Absurdität noch irgendjemand von Gerechtigkeit der Justizsysteme sprechen?
 
In genau dieser Märchenwelt wird es dann plötzlich zur Gewalt, wenn sich Menschen, die ihren Protest auf die Straße tragen, nicht ihren Arm bis über Schmerzgrenze verdrehen lassen, während ein Vermieter, der eine Familie auf die Straße setzen lässt, kein Gewalttäter ist.